19. Deutschsprachiger Japanologentag 20.-22. August 2025 | Frankfurt am Main
Call for Papers | Sektion Literatur II: Moderne Literatur
Sektionsleitung: Lisette Gebhardt, Christian Chappelow
Literarische Retroperspektiven, Literaturgeschichte, Archive
Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr treten Autoren und Autorinnen der vormals als „japanische Gegenwartsliteratur“ (gendai bungaku) bekannten Literatur in den Raum der Geschichtlichkeit ein. Dies gilt für Klassiker wie Abe Kôbô 安部公房 (1924-1991), Tsushima Yûko 津島佑子 (1947-2016) und Ôe Kenzaburô 大江健三郎 (1935-2023), trifft aber auch auf ihren mittlerweile über siebzigjährigen Vertreter Murakami Haruki 村上春樹 (*1949) zu. Für den Nachlass Ôe Kenzaburôs wurde an der Universität Tôkyô das Archiv The Kenzaburo Oe Library (https://oe.l.u-tokyo.ac.jp/etop) eingerichtet, ein Großteil von Murakami Harukis Privatsammlung wurde Ende 2018 in die Bibliothek The Waseda International House of Literature / The Haruki Murakami Library (https://www.waseda.jp/culture/wihl/en) an der Waseda Universität übergeben.
Der Trend zur Archivierung der Gegenwart erscheint aus verschiedenen Perspektiven relevant für die die japanische Literatur und ihre Erforschung. Zum einen verweist er auf das literaturgeschichtliche Desiderat, das nach wie vor für eine Erfassung des literarischen Arbeitens in den Dekaden nach 1945 gilt. Zum anderen lässt sich ein archivarischer Impuls auch als Charakteristikum neuerer japanischer Texte (oft im unterhaltungsliterarischen Format) feststellen. Sakuraba Kazukis Saga des Rotlaub-Clans (2006; Akakuchiba-ke no densetsu) etwa rekonstruiert Familiengeschichte ab den 1950er Jahren. Der Generationenroman erzählt die jüngere japanische Historie in chronologischer Sequenz, wobei Teil drei mit der Jahrtausendwende beginnt und einen Zukunftshorizont eröffnet. Die Autorin schildert die Ambitionen der Menschen, fragt nach den Opfern des Aufstiegs sowie danach, welchen Bestand Erreichtes haben kann und was bleiben wird – angesichts der Umwälzungen, die der Lauf der Zeit mit sich bringt. Die fiktive oder semi-fiktive Dokumentation von Familiengeschichte bildet sicher auch ein zentrales Moment im Schreiben des japanischen Nobelpreisträgers Ôe Kenzaburô, der in seinen Texten häufig allegorische Bezüge eröffnet, während er zugleich versucht, die Schuld des japanischen Nationalstaats und eine permanente Gefährdung durch das atomare Zerstörungspotential im kollektiven Gedächtnis zu bewahren. Nicht selten ist es das Verschwinden von Objekten, das Erinnern einfordert. Wie im Fall von Ogawa Yôkos Hisoyaka na kesshō (1994) dient es der Identitätsfestigung, der Sicherung von Freiheit und als Widerstand gegen scheinbar übernatürlich-dämonische oder politisch-totalitäre Intentionen des Auslöschens.
Betrachtet werden könnten im skizzierten Rahmen a.) literarisierte Räume der Archivierung (Museen, Sammlungen, Bibliothek, Antiquariate) und einschlägige Figuren – man denke an den Protagonisten aus Murakami Harukis 2023 publizierten Roman Machi to sono futashika na kabe, der an einer privaten Provinzbibliothek in der Präfektur Fukushima eine Bibliothekarstelle antritt (und an seinen enigmatischen Vorgänger Dr. Koyasu); b.) Metaphern des Archivierens als poetisches Mittel bzw. als Kommentar zu Schreibvorgang und Textwerdung c.) Schilderungen von Archivierungs- und Sammlungsbestrebungen im psychosozialen Kontext bis hin zum Pathologischen.
Das Motto „Literarische Retroperspektiven, Literaturgeschichte, Archive“ lädt darüber hinaus zur Beschäftigung mit Nachlässen japanischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen ein (einschließlich neuer Methoden der digitalen Recherche), zur Diskussion einer Literaturgeschichtsschreibung nach Mishima, Ôe und Murakami sowie zur Erörterung von Memoirenliteratur, literarischen Essays zum Zeitgeschehen und von möglichen menschlichen Residuen im posthumanistisch-biopolitischen Zusammenhängen. Nicht zuletzt wäre die Frage nach dem Fortbestehen von japanologisch-literaturbezogenem Wissen zu reflektieren.
Die Sektion „Moderne Literatur“ lädt ein, Vorschläge aus dem umrissenen Gebiet oder zu verwandten Themen einzureichen. Beiträge aus Promotionsvorhaben sind ebenfalls willkommen, nehmen Sie am besten schon im Vorfeld Kontakt auf.
Bitte senden Sie Vortragsvorschläge (20 Minuten plus 10 Minuten Diskussion) mit einem kurzen Abstract (ca. 300 Wörter) bis zum 14. Juli 2024 an die Sektionsleitung: l.gebhardt@em.uni-frankfurt.de und chappelow@em.uni-frankfurt.de
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