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Forschungsprojekt zur Künstler-persönlichkeit H. P. Miyabe Tarô (1960-1997)

Updated: May 17, 2022

Das malerische Ich im Spannungsfeld der Transkulturalität und Exzentrik


von Eva Jungmann


Anlässlich der Neubesetzung der japanologischen Professur erhielt das Institut für Japanologie an der Goethe-Universität Frankfurt von Dr. Miyabe Hiroshi, Vater des japanisch-deutschen Künstlers Hans-Peter Miyabe Tarô (geb. 1960 in Tôkyô, gest. 1997 in Frankfurt am Main), eine Spende von 28 beeindruckenden Kunstwerken. Im Sommer 2004 konnte in den damaligen Räumlichkeiten der Japanologie im 8. Stock des Juridicums eine erste Ausstellung dieser Werke realisiert werden. Die Festlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum des Fachs Japanologie im Mai 2021 sowie das gewachsene Interesse am Thema japanischer Gegenwartskunst legten eine Rekapitulation der damaligen Aktivitäten nahe. Daraus resultierte der Plan zu einer aktuellen retrospektivischen Aufarbeitung dieser einzigartigen Objektsammlung.


Der Frankfurter Künstler, am ehesten bekannt für seine Skulptur „Schwarzer Violinschlüssel“ (1982) vor dem Frankfurter Jazz-Keller und einstiger Schüler der renommierten Frankfurter Städelschule, drohte nach seinem frühen Tod mit nur 37 Jahren zu Unrecht zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Mein anfänglicher Auftrag im Rahmen des „Projekts Miyabe“ umfasste die Anfertigung eines Sammlungskataloges, der mit biografischen Eckdaten ergänzt werden sollte. Die Arbeit offenbarte sich durch die doch schwierige Dokumentationslage als herausfordernd, und so stellte sich immer wieder die Frage nach der Person von H. P. Miyabe Tarô, der durchaus den Stellenwert einer schillernderen Künstlerpersönlichkeit der Stadt innehat.


Auf den Spuren Miyabe Tarôs


Angefangen bei der Studierendenakte im Archiv der Städelschule führte der Weg – nach einer akribischen, fast schon detektivischen Recherche zu diversen Künstler-persönlichkeiten, Galeristen und Wegbegleitern, die sich allesamt, sofern sie persönlich mit ihm bekannt waren, sehr enthusiastisch und lebhaft an Miyabe erinnerten – und das, obwohl das letzte Treffen zumeist schon mehr als 30 Jahre zurücklag. Dies schürte die Neugierde und auch den Willen, die Projektarbeit um eine Master-Abschlussarbeit zu ergänzen, quasi als Basis zu einer neuen Wiederentdeckung des Künstlers. Nach den aufschlussreichen Interviews folgten Recherchearbeiten in den Online-Datenbanken deutscher und japanischer Antiquariate, um die wenigen erhaltenen Publikationen ausfindig zu machen. Ein abgedrucktes Interview aus der japanischen Zeitschrift Ginka (1985) sowie zwei weitere Kunstmagazine, die aufgrund der anhaltenden Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie ihren Weg nach Deutschland fanden, waren ein großer Gewinn.


In Texten präsentiert sich Miyabe, der nach eigener Aussage die „Vereinigung der Natur im Menschen“ verfolgte und der von einer „frenetischen, nicht zu bremsenden Arbeitswut besessen“ war, wie ihm sein Professor Michael Croissant attestierte, als vielschichtig. Er fertigte in seiner Schaffensphase eine schier überwältigende Anzahl von Kunstwerken: Bereits 1982 lagen mindestens 6000 unterschiedliche Werke vor (Pflasterstrand 1982: o. S.). In vielen Fällen – auch, weil der Künstler viele seiner Arbeiten regelrecht manisch überarbeitete, verwarf, weiterverwertete – bleiben die genaue Zahl und auch der Zustand des von ihm hinterlassenen Gesamtwerks teils ungewiss. Einen wichtigen Teil des Projektes stellt die anhaltende Suche nach den noch existierenden Werken Miyabe Tarôs. Umso wichtiger erscheint es daher, die Sammlung der Frankfurter Japanologie zu schützen und zu bewahren.


Tuschezeichnung Onna (1982)

Die Tuschezeichnung (Abb. 1) aus der japanologischen Sammlung zierte bereits das Titelblatt des Katalogs Essenzen (1983), herausgegeben von der Galerie Parterre, Darmstadt. Die Kataloggestaltung erfolgte über den Künstler in Zusammenarbeit mit Christian Willim. Hansgeorg Dickmann lieferte die einführenden Textzeilen „‘Sein‘ zwischen Ost und West“. Es ist die erste Veröffentlichung nach Miyabes erfolgreichen Abschluss als Meisterschüler der Städelschule. Die Arbeit, im Stil japanischer Kalligrafie (shodô 書道) zeigt das Kanji onna 女 (Frau; Weiblichkeit) in Halbkursivschrift (gyôsho 行書), mit den Maßen 36x 25,5 cm. Der Tusche-Strich wird von drei Namenstempeln (hanko 判子) in Siegelschrift (tenshotai 篆書体) geschmückt. Die beiden Stempel in der linken unteren Bildhälfte tragen den Namen des Künstlers. Der dritte Stempel in der unteren rechten Ecke ist rein dekorativ gesetzt. Sie sind klassisch Rot gehalten. Miyabe Tarô arbeitete auf handgeschöpftem Papier (washi 和紙), das er bei seinen Reisen nach Japan, in den Jahren 1982 und 1984, zu erwerben pflegte. Neben ihm malte zu dieser Zeit deutschlandweit nur der Künstler Horst Janssen (1929-1995) auf vergleichbarem Papier (Mössinger 1986: 2).


Während die frühen expressiven Arbeiten des Künstlers überladen waren von Farben, Spritzern und Klecksen, wird in diesem kalligrafischen Werk der Inhalt auf das Wesentliche reduziert. Es eröffnet verschiedene Bedeutungs- und Interpretationsmöglichkeiten, die bei bisherigen Rezeptionen vermeintlich offensichtliche Assoziationen zu Zen-buddhistischen Einflüssen und der japanischen Herkunft des Künstlers provozierten. Miyabe Tarô selbst spricht bei seiner kalligrafischen Reihe von shizen 自然, als Erweiterung eines Naturverständnisses über die irdischen Grenzen hinweg, den Kosmos als ganzen berührend (vgl. Ginka 1985: 85).


Zwei weitere Ausführungen (Abb. 2 und Abb. 3) aus seinem kalligrafischen Schaffen bestätigen die maximale Reduktion als Ethos seiner Arbeit, die in den schwarzen Farbbahnen seines letzten Schaffenszyklus ihren Höhepunkt erreichten.


Im Zeichen der Transkulturalität


















Neben einer kunstwissenschaftlichen Herangehensweise erlaubt und erfordert das Projekt eine kritische interdisziplinär-japanologische Sichtweise. Im Falle Miyabes sind Einflüsse aus der deutschen und der japanischen Kultur zu registrieren. Zudem gilt es, das Spannungsfeld zwischen der von außen herangetragenen exotisierenden Rezeption des Künstlers in Deutschland und der bewussten Selbst-Exotisierung der Künstlerfigur Miyabes zu berücksichtigen. Das Projekt verfolgt dabei keine bloße Infragestellung bisheriger (kuratorischer) Interpretationen, sondern vielmehr eine zeitgemäße Sichtbarmachung der Unabgeschlossenheit von Bilddeutungen, das kritische Hinterfragen von Denk- und Machthierarchien hinter der Japanizität seiner Werke und ein Beleuchten der verschiedenen europäischen sowie außereuropäischen Kunstströmungen, die Miyabe Tarô in seinen vielgestaltigen Schaffenszyklen nachzuvollziehen versuchte.


Zum ersten Mal in der Betrachtung seines Gesamtwerkes können Einflüsse aus Japan umfassend herangeführt und gedeutet werden. Spezifisch geht es hierbei um das Vorbild des Großvaters, der ebenfalls als Maler tätig war. Miyabe Tarô betonte immer wieder, wie wichtig für ihn die Fortführung der Arbeit seines Großvaters gewesen sei. [1] Dessen Bild Asa no machi 朝の町 (Die Stadt in der Morgendämmerung) war beispielsweise im Jahr 1922 bei der großen Friedensausstellung in Tôkyô (Heiwa Kinen Tôkyô Hakurankai 平和記念東京博覧会) vertreten und liegt dem Projekt als Bildreproduktion vor. Zusätzlich bieten zwei Kunstmagazine aus der späten Taishô- und Shôwa-Zeit wertvolle Einblicke.


Eine weitere bis dato wenig ergründete Rolle spielt der japanische Holzschnitt-Künstler und Maler Munakata Shikô 棟方志功 (1903–1975). In einem Interview berichtet Miyabe wie prägend Munakatas Holzschnitte für ihn waren und dass sie ihn zutiefst beeindruckten. Das Spannende bei dieser Rezeption von Kunstform und Künstler: Es werden transkulturelle Elemente in ihrem Schaffen erkennbar und lassen für das Projekt ein hohes Erkenntnispotenzial erwarten.


Anliegen der Projekt- und Masterarbeit wird nicht nur sein, die vorliegenden Werke retrospektivisch aufzuarbeiten, sondern auch das Wechselspiel des Künstlers mit seinen Berührungspunkten in der Frankfurter und Tôkyôter Kunstszene hervorzuheben. Während die Werke, die in der Sammlung der Japanologie zu finden sind, vornehmlich dem Tachismus sowie der klassischen Tuschemalerei zugeordnet werden können, ist das künstlerische Schaffensspektrum Miyabes wie bereits angedeutet um ein Vielfaches größer. Neben gegenstandsloser Malerei finden sich farbenprächtige Re-Interpretationen klassischer Ukiyo-e Bilder, bevorzugt sogenannte Frühlingsbilder (shunga 春画), erotische Darstellungen, die an das französische Cabaret erinnern, aber auch Landschaftsmalereien stilisierter Naturszenerien wie etwa dem Fuji-san. Dank der bisherigen Gespräche im Rahmen der Recherchearbeit können neben der japanologischen Sammlung weitere Objekte aus dem Gesamtwerk des Künstlers im Rahmen der Arbeit zugänglich gemacht werden und erlauben zum 25. Todestag eine in diesem Umfang noch nie realisierte Retrospektive.


Erotik, Natur, „Schwarzes“ und dazwischen immer präsent das malerische Ich im Spannungsfeld der Transkulturalität und Exzentrik von H. P. Miyabe Tarô. Das sind die Themenkomplexe, die es nun zu erarbeiten gilt.



Anmerkungen:


[1] Dies lässt sich unter anderem aus der Studierendenakte lesen sowie aus diversen Zeitungsartikeln.


Quellenverweise:


Sofern nicht anders angegeben wurden die Angaben zur Person von Miyabe Tarô aus den von mir geführten Interviews zitiert. Die hier gezeigten Abbildungen (Abb.1 – Abb.3) stammen alle aus der japanologischen Sammlung.


Dickmann, Hansgeorg (1983): „‘Sein‘ zwischen Ost und West“. In: Galerie Parterre (Hg.): Taro Miyabe. Essenzen. Bilder, Zeichnungen. Hanau: Hanauer Anzeiger, Druck und

Verlagshaus, S. 7.


Galerie Parterre (Hg.) (1983): Taro Miyabe. Essenzen. Bilder, Zeichnungen. Hanau: Hanauer Anzeiger, Druck und Verlagshaus.


Mössinger, Ingrid (1986): „Einführung“. In: Gerd Müller und Hans-Joachim Meier (Hg.): H.P.

Taro Miyabe. Schwarze Bilder: 14. Juli – 14. August 1986, Dominikanerkloster Frankfurt am Main. Frankfurt a.M.: Ev. Regionalverband, S. 2.


Ginka (1985): „Nichidoku konketsu seinen - Miyabe Tarô no kuroi shigoto“ [Ein deutsch-

japanischer junger Mann – Die schwarzen Arbeiten des Miyabe Tarô]. In: Ginka, Nr. 61, März, S. 82–85.


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Ausstellung mit Werken von H.P. Miyabe Tarô in den
Räumlichkeiten der Japanologie, Juli 2004


Einladungskarte zu der Ausstellung


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